Was ist Neurokosmetik – und warum spricht plötzlich jeder davon?
Neurokosmetik erlebt derzeit ein beeindruckendes Comeback. Zahlreiche Marken vermarkten Produkte für empfindliche Haut als „neurokosmetisch“ – als etwas Neuartiges, Wirksames, Innovatives. Doch: Das Konzept dahinter ist alles andere als neu.
Bereits vor über 30 Jahren entdeckte die medizinische Forschung, dass die Haut weit mehr ist als eine Schutzbarriere. Sie ist ein hochsensibles Sinnesorgan mit direkter Verbindung zum Nervensystem – und damit nicht nur anfällig für äußere Reize, sondern auch für psychischen Stress. Schon damals begannen Fachleute, gezielt Wirkstoffe einzusetzen, die die Reizverarbeitung der Haut regulieren können.
Heute stehen diese Erkenntnisse erneut im Rampenlicht. Die Neurokosmetik von heute nutzt biotechnologisch aufbereitete Wirkstoffe, moderne Peptide und Pflanzenextrakte, um Reizreaktionen gezielt zu lindern – wissenschaftlich fundiert und medizinisch relevant.
Wie funktioniert Neurokosmetik eigentlich?
Neurokosmetische Produkte wirken auf eine zentrale Schaltstelle: die sensorischen Nervenenden der Haut. Diese leiten Informationen wie Hitze, Schmerz, Juckreiz oder Druck an das Nervensystem weiter. Wird dieser Mechanismus gestört oder überreizt – etwa durch UV-Strahlung, Stress, aggressive Kosmetika oder Erkrankungen – reagiert die Haut mit:
- Brennen
- Kribbeln
- Rötungen
- Spannungsgefühl
- Juckreiz
Neurokosmetische Wirkstoffe greifen hier gezielt ein: Sie blockieren oder modulieren bestimmte Rezeptoren und Botenstoffe, um die Reizweiterleitung zu unterbrechen und die Haut wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
Was passiert da genau in der Haut?
Um zu verstehen, wie Neurokosmetik wirkt, lohnt ein kurzer Blick in die Biologie:
C-Fasern
Langsam leitende Nervenfasern, die Schmerz, Hitze und Juckreiz weiterleiten. Sind sie überreizt, entstehen Missempfindungen.
Substanz P
Ein Nervenbotenstoff, der bei Reizung freigesetzt wird. Er verstärkt Entzündungen, Rötung und Juckreiz.
CGRP (Calcitonin Gene-Related Peptide)
Ein weiterer Neurotransmitter, der die Blutgefäße erweitert und an neurogenen Entzündungen beteiligt ist.
Interleukin-6 (IL-6)
Ein entzündungsfördernder Botenstoff, der bei Stress oder Barriereschäden vermehrt gebildet wird.
Neurokosmetische Wirkstoffe blockieren diese Signalwege – oder beruhigen sie, bevor eine Reaktion entsteht.
Wann ist Neurokosmetik sinnvoll – und wann nicht?
Neurokosmetische Pflege ist besonders dann sinnvoll, wenn die Haut überempfindlich reagiert, obwohl keine akute Entzündung oder Erkrankung sichtbar ist. Auch nach ästhetischen Behandlungen, bei chronisch entzündlichen Hautbildern oder bei „unsichtbaren“ Beschwerden wie Kribbeln oder Brennen kann sie gezielt helfen.
Geeignete Einsatzgebiete:
- empfindliche, reaktive oder hypersensible Haut
- Rosazea, periorale Dermatitis
- Neurodermitis (atopische Dermatitis)
- Psoriasis (Schuppenflechte)
- Post-Peeling, Post-Laser oder Microneedling
- stressbedingte Hautprobleme („Burnout Skin“)
Weniger sinnvoll ist Neurokosmetik:
- bei reiner Akne ohne nervale Reizkomponente
- wenn keine Reizsymptome vorliegen
- wenn die Produkte unterdosiert sind
Wichtig: Nur die richtige Dosierung wirkt
Neurokosmetik ist kein Placebo. Ihre Wirkung hängt stark von der korrekten Konzentration der Wirkstoffe ab. Viele Produkte bewerben „neuroaktive“ Inhaltsstoffe, enthalten diese aber nur in Spuren – zu wenig, um tatsächlich einen Effekt zu erzielen.
Beispiel:
Ein Peptid wie Neutrazen™ wirkt ab etwa 1 % – nicht bei 0,001 %.
Oder: Magnesium zur Muskelentspannung entfaltet seine Wirkung erst ab ca. 400–600 mg – alles darunter ist nicht ausreichend.
Die gleiche Logik gilt für Neurokosmetik.
Wer auf Wirkung statt nur Versprechen setzen will, sollte:
- auf studienbasierte Konzentrationen achten
- sich nicht von bloßen INCI-Listen täuschen lassen
- lieber auf medizinische oder cosmeceutische Linien zurückgreifen
Wirkstoffe mit belegter Wirkung in der Neurokosmetik
Madecassoside (aus Centella asiatica)
- Entzündungshemmend, hautberuhigend
- Reduziert Substanz P und IL-6
- Fördert die Hautregeneration
- Ideal bei: Neurodermitis, sensibler Haut, nach kosmetischen Behandlungen
Defensil® (Cardiospermum + Öle)
- Blockiert den TRPV1-Rezeptor (Schmerz- und Hitzereiz)
- Lindert Brennen, Juckreiz, Hitzegefühl
- Ideal bei: Couperose, Rosazea, Missempfindungen
Modukine™ (Milchpeptid-Komplex)
- Regulierend auf Haut und Immunzellen
- Entzündungshemmend bei chronisch sensibler Haut
- Ideal bei: Psoriasis, periorale Dermatitis
Neutrazen™ (Tetrapeptid-15)
- Wirkt gezielt auf Substanz P und CGRP
- Reduziert sofortige Reaktionen wie Brennen oder Kribbeln
- Ideal bei: reaktiver Haut, nach Laser oder Needling
Ectoin
- Schützt Zellen vor Stress, stabilisiert Membranen
- Antioxidativ und barrierestärkend
- Ideal bei: umweltbelasteter Haut, Neurodermitis
Neurophroline® (Tephrosia purpurea)
- Senkt den Cortisolspiegel in der Haut
- Fördert die Bildung von Beta-Endorphinen (Wohlfühlhormonen)
- Ideal bei: „Burnout-Skin“, gestresster oder fahler Haut
Panthenyl Triacetat
- Intensiv beruhigend, lipophil und gut verträglich
- Besonders für hypersensible und postaggressive Haut geeignet
Weitere Wirkstoffe (nicht in jedem Sortiment enthalten)
Diese Substanzen werden aktuell noch selten eingesetzt, sind aber aus wissenschaftlicher Sicht interessant:
- Palmitoylethanolamid (PEA): Ein lipidbasierter Neurotransmitter, schmerzlindernd und entzündungshemmend
- CBD (Cannabidiol): Talgregulierend, antioxidativ – jedoch regulatorisch nicht überall zugelassen
- Acetyl Hexapeptid-49: Wirkt auf Schmerzrezeptoren (TRPV1), reduziert Hitzeempfindung und Irritationen
Hinweis: Diese Stoffe sind nicht Bestandteil aller Marken und werden z. B. in Linien wie Jet Ceuticals oder BLS SKINDENTITY aktuell nicht verwendet.
Wie wirkt Neurokosmetik auf die Psyche?
Die Haut ist nicht nur ein Organ – sie ist Teil unseres emotionalen Systems. Hautreize können das Stresszentrum im Gehirn aktivieren. Umgekehrt kann psychischer Stress Hautprobleme verschärfen. Neurokosmetik greift hier regulierend ein:
- Cortisol-Senkung: z. B. durch Neurophroline®
- Endorphin-Stimulation: Förderung körpereigener „Wohlfühlhormone“
- Beruhigung der Reizschwelle: Weniger Kribbeln, Spannungsgefühl, Unruhe
Viele Patienten berichten von einem spürbar „angenehmeren Hautgefühl“ – das wirkt sich oft auch auf Schlaf, Stimmung und Selbstwahrnehmung positiv aus.
Fazit: Neurokosmetik ist kein Trend – sondern eine Chance
Neurokosmetik ist kein Marketingbegriff, sondern ein evidenzbasiertes Konzept. Richtig eingesetzt, kann sie:
- empfindliche Haut beruhigen
- chronische Hautprobleme unterstützen
- das emotionale Hautgleichgewicht stabilisieren
- die Hautbarriere stärken und Reize abpuffern
Aber: Sie funktioniert nur, wenn die eingesetzten Wirkstoffe hochwertig, korrekt dosiert und funktionell formuliert sind. Dann ist Neurokosmetik nicht nur wiederentdeckt – sondern ein echter Fortschritt in der modernen Hautpflege.